Ahrtal: Polizei-Video der Flutnacht

Redaktion

Mainz – Polizeihubschrauber-Aufnahmen aus der Flutnacht im Ahrtal wurden erst über ein Jahr danach richtig katalogisiert und dem Untersuchungsausschuss und der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt. Plötzlich tauchte bei der Polizei eine Sicherungskopie auf, die zwischen 22:14 Uhr und 22:42 Uhr aufgenommen wurde.

Darauf zu sehen: Das komplette Ausmaß der Flut. Häuser, die bis zum Dach unter Wasser stehen. Menschen, die in ihrer Not Lichtzeichen geben.

Noch Stunden, nachdem diese Bilder von den Ahrtal-Gemeinden Schuld bis Mayschoß aufgenommen wurden, sind Menschen weiter flussabwärts ertrunken, weil sie nicht ausreichend gewarnt wurden.

Solche Aufnahmen machten Hubschrauber in der Flutnacht am 14. Juli 2021 im Ahrtal.

Im vergangenen Juli starben im Ahrtal 134 Menschen, 700 wurden verletzt, und das obwohl bereits am Nachmittag Prognosen vorlagen, dass der Pegel höher steigen könnte als beim „Jahrhunderthochwasser“ 2016. Obwohl bereits am frühen Abend an der oberen Ahr Häuser weggeschwemmt wurden. Noch nach 23 Uhr ertranken an der unteren Ahr Menschen – darunter allein zwölf im Haus der Lebenshilfe in Sinzig -, weil sie nicht gewarnt worden sind.

Rund 65.000 Menschen sind von den Folgen der Flutkatastrophe direkt betroffen, darunter etwa 42.000 allein im Ahrtal. Auf einer Länge von 40 Kilometern wurden Straßen, Brücken, Gas-, Strom- und Wasserleitungen und rund 9.000 Gebäude zerstört oder schwer beschädigt.

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Der Trierer Volksfreund veröffentlichte das Polizei-Hubschrauber-Video in voller Länge

SPD-Innenminister: „Hätte keine andere Hilfsmöglichkeit gehabt“

Der rheinland-pfälzische Innenminister und oberste Katastrophenschützer Roger Lewentz (SPD) gerät erheblich unter Druck und in Erklärungsnot. Sind sie ein Beleg, dass Lewentz falsch gehandelt hat?

Lewentz hatte stets argumentiert, er habe in der Nacht der Flut kein umfassendes Lagebild gehabt, sondern nur punktuelle Informationen. Er argumentiert nach wie vor, sein Lagebild in der Nacht sei ein anderes gewesen als in den Tagen danach. Er habe die Bewegtbilder aus der Flutnacht bis vor Kurzem auch nicht gekannt; ihm hätten in der Nacht nur wenige Fotos vorgelegen.

Er habe gewusst, dass es ein Hochwasser geben würde, aber er erkenne auf den Aufnahmen keine Sturzflut – nicht die Katastrophe mit 134 Toten, wie sie in den Tagen darauf deutlich geworden sei. Lewentz erklärt außerdem, dass es wohl auch nichts geändert hätte, wenn er die Videos in der Nacht gesehen hätte. „All das, was von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Bundeswehr, Rettungsdienstorganisationen, der DLRG und vielen anderen in den Einsatz geführt wurde, ich hätte keine andere Hilfsmöglichkeit gehabt.“ 

Auch einem Innenminister sei es nicht möglich, bei schlechten Wetterverhältnissen einfach so per Knopfdruck weitere Hubschrauber zu besorgen.

Rücktrittsforderungen der Opposition stoßen bei der SPD auf taube Ohren

Christian Baldauf, der Vorsitzende der CDU-Fraktion, gibt sich schockiert über die Erklärungen: „Was hat dieser Minister für ein Amtsverständnis?“

Lewentz‘ Worte seien zynisch und ein Schlag ins Gesicht all derer, die Angehörige in der Katastrophe verloren hätten.

Wenn er nicht den Anstand finde, selbst zurückzutreten, müsse die Ministerpräsidentin Konsequenzen ziehen.

Auch die AfD hält einen Rücktritt von Lewentz für überfällig.

Ebenso die Freien Wähler halten die Argumentation des Innenministers für unglaubwürdig. „Die Einschätzung von Roger Lewentz, dass diese Videos nicht als Beleg für eine Katastrophe angesehen werden können, ist für mich absolut nicht nachvollziehbar“, erklärt Stephan Wefelscheid. Denn man sehe doch deutlich in den Videos – und dies nicht nur an einer Stelle an der Ahr, sondern an mehreren Stellen der Ahr -, dass Menschen verzweifelt an den Fenstern stehen und um Hilfe flehten.

Rückendeckung bekommt der Sozialdemokrat Lewentz aus den eigenen Reihen. Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz Malu Dreyer, ebenfalls SPD, hält trotz der Kritik an ihrem Minister fest.

Warum taucht das Video erst jetzt auf?

Die Polizei räumt Versäumnisse bei der Weitergabe der Videos ein. Wegen eines Dokumentationsfehlers bei der Polizei seien die Aufnahmen innerhalb der Behörden gewissermaßen verschwunden.

Später sei eine Sicherheitskopie mit den Videos aufgetaucht und auf Anfrage in den Untersuchungsausschuss des Landtags gelangt. 

Auch der Staatsanwaltschaft Koblenz, die wegen der Flutkatastrophe im Ahrtal ermittelt, liegen die Videos erst seit der vergangenen Woche vor. Derzeit werden Angehörige der Hubschrauberstaffel durch die Staatsanwaltschaft befragt.

Mitte Oktober soll die Hubschrauber-Besatzung dann auch im Untersuchungsausschuss des Landtags aussagen.

Ex-RLP-Umweltministerin der Grünen hatte nach der Flut nur eigenes Image vor Augen

Der Druck auf Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) war bereits Anfang des Jahres immens gewachsen, seitdem das Kommunikationsverhalten der damaligen rheinland-pfälzischen Umweltministerin in der Flutnacht im Ahrtal bekannt geworden war.

Anne Spiegel hatte weder vor Extremhochwasser gewarnt, noch ihren Fehler korrigiert, als neue, dramatische Informationen über die Lage im Ahrtal auftauchten. mehr noch: Die Ministerin so gut wie nicht erreichbar in jener Flutnacht, sie kommunizierte nicht, und sie kümmerte sich auch nicht.

Am folgenden Tag standen in Spiegels schriftlicher Kommunikation ihr eigenes Image sowie die Sorgen vor einem “Blame game” gegen ihre Person im Vordergrund.

Dass die Ministerin ausgerechnet in der dramatischen Lage nicht nur in Urlaub fuhr, sondern nach einem Kurz-Auftritt im Ahrtal für ganze vier Wochen nach Südfrankreich verschwand, erfuhr derweil so gut wie niemand.

Anne Spiegel, die zwischenzeitlich in Berlin Bundesministerin war, trat im April aufgrund des immensen Drucks zurück.

Auch über 1 Jahr danach weiter massive Probleme im Ahrtal

Viele Menschen leben auch ein Jahr nach der Flut noch in Ausweichquartieren und wissen nicht genau, wie es weitergeht.

Die Anträge für staatliche Hilfszahlungen sind kompliziert; das Geld fließt oft erst nach etlichen Monaten. Das wird auch immer wieder kritisiert.

Die Wiederaufbau läuft oftmals schleppend. Gutachter und Handwerker: häufig ausgebucht. Baumaterial: oft nicht gleich zu bekommen.