Statt „Radio Salü“ plötzlich „Radio Nanü“?

Medien

Saarbrücken – „Nanü, was ist da denn los?“ Beim landesweiten saarländischen Radioprogramm Radio Salü gehen die Lichter aus. Zumindest nachts, wenn man an der Richard-Wagner-Strasse vorbeifährt, sind Studio und Redaktion unbesetzt. Niemand da, aber trotzdem wird im Radio aktuell gesprochen? Wie geht denn das?

Aus dem leeren Studio kommen auch dann regelmässig frische Verkehrsinformationen von einer für viele Hörer erkennbaren „Plastik-Stimme“. Eine Computerfrau liest für Stamm-Hörer völlig ungewohnt steif und auf unpersönliche Art und Weise aktuelle Verkehrsmeldungen der Polizei vor. Hörer-Verkehrsreporter werden nicht mehr berücksichtigt. Klar, dass hier das einstige Markenzeichen des Senders „der schnellste Verkehrs- und Blitzreport des Saarlandes“ plötzlich völlig ohne Blitzermeldungen auskommen muss, wenn niemand mehr im Studio steht oder unter der bekannten Nummer „0681 / 3909“ niemand mehr abhebt.

Ein Insider berichtet: „Unter der Woche ist ab 19 Uhr kein Moderator mehr im Studio. Am Samstag sendet niemand mehr live ab 14 Uhr, sonntags ab 16 Uhr. Der weiblichen Stimme wurde sogar beigebracht, die saarländischen Orte richtig zu vorzulesen.“ 

Radio Salü ist hier kein Einzelfall. Auch Sender wie Baden FM in Freiburg setzen in Randzeiten auf Computerstimmen. Bei den DAB+ Verkehrssendern vom Westdeutschen Rundfunk und Bayerischen Rundfunk spricht der Computer sogar rund um die Uhr. 

Die offizielle Rechtfertigung der Badener Radiomacher: Man beschreitet damit „einen neuen und innovativen Weg, um dem steigenden Informationsbedarf von Hörern und Nutzern gerecht zu werden.“. Tatsächlich stecken jedoch knallharte Sparmassnahmen dahinter.

Schon lange vorbei sind die „guten Jahre der 90er und 2000er“, in denen beliebte Moderatoren wie Frank Falkenauer, Mark Backes oder Gaby Funk in den Abendstunden live am Mikrofon waren, oder Thorsten Kremers sogar tagelang zur „Pfingstmarathon“-Dauermoderation rund um die Uhr ans Mikrofon gefesselt wurde – und natürlich alle Moderatoren branchenübliche Honorare dafür bekamen. In den letzten Jahren wurde, so Insider, das Programm schrittweise ausgedünnt. So kamen in den Randstunden nur noch völlig unbekannte Stimmen der Hilfskräfte vom Hörertelefon am Mikrofon zum Einsatz – mit Stundenlöhnen knapp über Mindestlohn. 

Als weiterer Schritt folgten sogenannte „Voice-Track-Sendungen“ am Abend und am Wochenende. Hierbei nehmen Moderatoren und Nachrichtensprecher ihre Texte auf. Der Computer spielt diese später zur gewünschten Uhrzeit punktgenau ab. Zunächst waren hierbei noch „echte Menschen“ für die „Verkehrsmeldungen dazwischen“ anwesend, dann folgte plötzlich die Umstellung auf Computerstimme.

Die Entwickler der Digitalagentur „Konsole Labs“ in Berlin bewerben ihre Text-to-Speech-Moderationslösungen mit dem unschlagbaren Argument: „Bezahle nur, was du auch wirklich brauchst. Unsere Skills nutzen professionelle Technik für jedermann – vom Medienkonzern bis zum kleinen Podcaster“. Wer braucht da noch echte Menschen?

Wie funktioniert die Computer-Moderatorin? 

Herzstück des Systems ist Content Creation Intelligence (CCI) von Konsole Labs. Mit diesem Tool werden die vorgegebenen Texte über eine synthetische Stimme umgewandelt – und und dann mit den radiotypischen Audioelemente wie Jingles ergänzt. Anschliessend spielt der Studio-Computer die erzeugten Moderationen ab. Das System kann regelmässige Verkehrsmeldungen zu festen Uhrzeiten vorlesen, aber auch mit sogenannten „Ad hoc-Meldungen“, wie plötzlich auftretende Falschfahrer, umgehen. 

Marcel Tuljus von Konsole Labs bei der Produktvorstellung: „Unser Ziel mit CCI war es von Beginn an, Medienhäusern jeglicher Größe Text-to-Speech-Lösungen zu ermöglichen – flexibel und Workflow-orientiert. Wetter und Verkehr sind ein Anfang. Aber der Kreativität sind in Sachen Content kaum Grenzen gesetzt.“ Düstere Aussichten also für Medien-Menschen aus Fleisch und Blut. 

Fraglich bleibt hier die Warnfunktion des landesweiten Senders bei Bevölkerungsschutz-Meldungen, wenn die Behörden über andere Meldewege als die vom Moderations-Computer umwandelbare Emails das Studio erreichen. Erreichen aktuelle Gefahren- und Katastrophen-Warnungen dann die Hörer? Ein von Behörden nicht unübliches Fax kann die Computer-Stimme nun mal nicht vorlesen.

Personal-Eeinsparungen bei Radio Salü

Radio Salü erlebte in den frühen 2000er-Jahren seine Hochphase. Das damals noch hörernahe Programm reagierte schnell durch spontane Programmänderungen und brillierte bei Betroffenen, wie damals im Jahr 2009, als tausende Autofahrer im Eisregen im Auto festsassen. Live-Reporter meldeten sich von Unfallstellen in den Nachrichten. Interessante Berichte vor Ort, Comedy und spritzige Live-Moderationen prägten das Programm. 

Dafür wurde der Sender damals mit weit über 100.000 Hörern pro Stunde in der werberelevanten Zielgruppe 14-49 Jahre bei der Hörerzahlen-Umfrage belohnt. 

Mittlerweile dümpelt das Hörer-Interesse nach hörbaren Programm-Einschnitten bei 28.000 Hörern pro Stunde dahin. Die meisten Radiosender in Deutschland spielen dieselben Hits – letztendlich kommt es auf den Inhalt zwischen den Liedern an. Die letzten Jahre fielen die Zahlen stetig.

Der jahrelang meilenweit vorauslaufende Marktführer Radio Salü bewegt sich bei den Hörerzahlen immer mehr auf das Schlusslicht der saarländischen werberelevanten Radioliga zu: bigFM Saarland ist mit 16.000 Hörern pro Stunde nicht mehr weit vom einstigen Platzhirsch entfernt.

Auch Skandale blieben nicht aus: Kündigungen, ominöse Spesen-Abrechnungen, eine Hausdurchsuchung und eine angebliche „Sexaffäre“ beim Privatsender Radio Salü beschäftigen die Arbeitsgerichte, wie die Saarbrücker Zeitung ausführlich berichtete. 

Bericht der Saarbrücker Zeitung
Bericht der Saarbrücker Zeitung

In den Prozessen kam ein Funfact am Rande heraus: Einer Mitarbeiterin wurde die Kündigung damit begründet, dass weibliche Stimmen beim Publikum angeblich nicht ankommen. Komisch, dass man bei der Computerstimme aus dieser Erkenntnis heraus nicht auf einen männlichen Sprecher setzt.

Geschäftsdaten

Der Sender steht finanziell gut da, wenngleich die Jahresbilanzen etwas rückläufig sind. So liegt die Bilanzsumme für das Jahr 2020 bei über 4,5 Millionen Euro. 3 Millionen Euro werden als Kassenbestand verzeichnet. 620.000 Euro sind Finanzanlagen, 257.000 Euro Sachanlagen. Anscheinend kann sich der Sender „die echten Menschen“ leisten und tut dies nicht aus einer Not heraus.

Daten aus einer Wirtschaftsauskunft

Am Sender beteiligt sind u.a. der Saarländische Rundfunk, der französische Sender Europe 1, die Sparkasse und der Wochenspiegel. Radio Salü selbst beteiligte sich an 100,5 Das Hitradio in Belgien, 107.8 Antenne AC in Nordrhein-Westfalen und Rockland Radio in Rheinland-Pfalz.